War das Warten auch lang, um so kürzer der Abschied im Stehen. Meine Freunde, die wünschten mir Glück, Hals- und Beinbruch, mach’s gut. Vor mir breiteten aus die vier Länder ihr Netz von Chausseen, Und vier Grenzen, die zogen die Schlagbäume wie einen Hut. Ganz von selbst warfen Birken die Schatten mir unter die Reifen, Und es schien, die Chaussee lief zusammen wie ein Bajonett. Auf der Scheibe zerplatzten die Mücken als seltsame Streifen, Dieses Bild war genauso, als wenn es Dali gemalt hätt. Auf erstaunlichem Grabfeld wieviel kühne Striche gezogen, Wieviel Leiber, Gehirne zerquetscht auf der Scheibe wie Dreck. Wieder eine, die sich bis zum Rande mit Blut vollgesogen, Sie vollendet das Meisterwerk mit einem knallroten Fleck. Diese wirren Gedanken, die träge im Schädel pulsieren, Kommen plötzlich in Fahrt, ohne daß man dazu etwas tut. Und zu mir in das Auto, da wollte die Kriegszeit marschieren, Diese Zeit ließ ich ein, die so lange gelegen im Blut. Merkte, wie aus verbundenen Köpfen mich Augen anstarren, Und sie fragten: »Wohin? In den Westen? Zurück, Freund, sofort!« Meine Antwort erstarb, denn ein Bleiregen traf meinen Karren. »Wirf dich hin und gib acht, siehst du nicht diesen Jagdbomber dort?« Doch sein erster Versuch war ihm ganz offensichtlich mißlungen, Denn nur einer war tot, und man packt’ auf ihn Zeitungen drauf. Aus den Gräben raus kamen Gestalten gehumpelt, gesprungen, Sie begafften mein Auto und mich dreißig Jahre darauf. Es verschwand die Chaussee, auf die ich mich bisher noch verlassen, Überall sah ich nur halbe Tannen, von Minen zersägt, Meinen Kühler, umflossen vom Strome gespenstischer Massen. Einen ganzen Tag lang habe ich mich kein Stück fortbewegt. Ganz vom Gähnen zerrissen, bin ich wohl zum Schlafen gekommen. Was ist das? Auch wenn ich in mein Ohr zwick, die Augen mir reib: Nebenan auf dem Autositz hat ein Sergeant Platz genommen, »Woher ist die Trophäe? Na schon gut, du gestattest, ich bleib.« Essen frische Buletten und dazu Radieschen im Wagen, Wieder wundert er sich, fragt: »Woher hast du so was im Krieg? Denn das letzte Mal hab ich gefrühstückt in Minsk vor acht Tagen. Also dann, gute Fahrt, ich schau rein, wenn ich wieder hier lieg.« Und er zog Richtung Ost mit dem kläglichen Rest seiner Leute. In das Auto kam wieder das friedliche Heute herein. Wie die Frau neben mir, so betrachtet es mich, dieses Heute. »Bist du müde?« fragt sie, »dann fahr ich, leg dich hinten hinein.« Die wir eben getroffen, das war doch schon vor dreißig Jahren. Alles da und am Platze, wir fahren zur Grenze zu zweit. Die Verkehrszeichen mahnen und warnen uns vor den Gefahren. Scheibenwischer und Wasser verschaffen uns Sicht, klar und weit. Nur die Schlaglöcher sind hier noch übriggeblieben vom Kriege, Bajonette als Denkmal, der kaum nachgewachsene Wald Stechen so in die Augen, daß ich eine Gänsehaut kriege. Bajonettspitzen weisen zum Himmel, schlicht, ohne Gewalt. Und mir schien, der noch nie ein Gewehr in die Hände genommen, Daß auch ich irgendwo in der Gegend hier mitgekämpft hätt, Deshalb war mir die Straße auch als Bajonett vorgekommen, Und die Hakenkreuzfahne, die baumelte am Bajonett.
© Reinhold Andert. Übersetzung, 1989