Weder Zeit meiner Zeugung noch Gründe Könnt ich mit dem Gedächtnis erfassen. Weiß nur, ich, als Produkt einer Sünde, Wurde vor meiner Frist schon entlassen. Ward zur Welt gebracht nicht unter Schmerzen Nach neun Monaten, Jahre warn’s nicht... Dieser erste Knast war unterm Herzen, Doch der fiel nicht so sehr ins Gewicht. Den Heiligen sei Dank gesagt, Daß sie gepustet und gespien, Daß meine Eltern es gewagt, Mich herzustellen, aufzuziehn. In jener anspruchslosen Zeit, Die jetzt eine Legende scheint, Da gab es Reisen, lang und weit, Als Weg zur Besserung gemeint. Geholt noch in der Zeugungsnacht, Auch schon vorher, je nach Befehl. Was sie zustande so gebracht: Wir leben und sind kreuzfidel. Lauft, Gedanken, ihr rasenden Hunde, Laßt in Worte und Zeilen euch fassen! Eingesperrt aus verständlichem Grunde, Achtunddreißig erstmalig entlassen. Doch von Monat zu Monat ward’s schlimmer, Die Geburt hab ich dann überlebt Und mich eingewöhnt, klar, wenn man immer In der Ersten Mestschanskaja klebt. Das Zimmer war durch eine Wand Mehrmals geteilt, man hört’ genau, Wer weg war, sich zu Haus befand Und Wodka trank mit seiner Frau. Man mußte schon bescheiden sein, Allein war man dort nirgendwo, Für achtunddreißig Mietspartein Gab’s in der Wohnung nur ein Klo. Wir hatten Wattejacken an Und klapperten, es war sehr kalt. Was die Kopeke wert sein kann, Das wußte ich schon ziemlich bald. Als dann täglich die Angriffe waren, Wurde niemand von Furcht mehr ergriffen, Sogar ich Knirps mit meinen drei Jahren Hab auf Fliegeralarm schon gepfiffen. Was von oben kam, war nicht nur Segen, Brände wurden gelöscht Tag und Nacht. Meine Sandschaufel kam da gelegen, Sie hat auch etwas Nutzen gebracht. Als durch das Dach die Sonne schien, Traf sie mit ihren Strahlen da Auch den Kirillytsch Jewdokim Und Gissja Moissejewna. Sie fragt: »Die Söhne?« Er verneint: »Sie sind verschollen, kein Bescheid. Ach Giska, was uns heute eint, Das ist doch unser aller Leid. Als ob du selbst nicht leiden mußt, Du könntest gradso Russin sein, Denn meine Söhne sind vermißt Und deine sitzen schuldlos ein.« Schob beiseite die Windeln und Schühchen, Ohne Aufpasser wollte ich wandern. Man beschimpfte mich: »Du taubes Frühchen«, Doch ich war so normal wie die ändern. Die Rollos wurden runtergenommen, Von dem Zittern vorm Fritz blieb ein Rest, Unsre Väter, nach Hause gekommen, Suchten sich oft ein anderes Nest. Die Tante Sina trägt ein Kleid Mit Drachen und mit Schlangen drauf, Bei Wowka taucht’ vor kurzer Zeit Der Vater mit Trophäen auf. Trophäenjapan gab ein Pfand Trophäendeutschland, man griff hin, Germanien zog in unser Land In einem Riesenkoffer drin. Ich legte Schulterstücke an Und hab mich als Major drapiert. Es kamen Zivilisten dann, Die hatte man evakuiert. Unsre Väter versuchten zu starten, Wurden nüchtern und soffen von neuem, Freudentränen belohnten das Warten, Doch oft gab’s keinen Grund mehr zum Freuen. Vitkas Vater mit kräftigen Händen, Für die Metro grub er Tunnel aus. »Korridore, die enden an Wänden, Doch die Tunnel, die führen hinaus.« Doch Vitka gab nichts drauf, der Tor, Er dachte: Vaters Spinnerein, Und kam aus unserm Korridor In einen ändern, saß dort ein. Daß er sich stritt, kam sehr oft vor, Verzweifelt dann sein Widerstand. Er ging durch diesen Korridor Und endete an einer Wand. Die Väter waren zwar nicht dumm, Doch lebten sie in ihrer Welt. Wir sahen uns im Leben um, Nun ganz auf uns allein gestellt. Schlägereien, das Blut kam geflossen, Auch bei denen, die noch eingeschissen, In den düsteren Kellergeschossen Haben wir uns vor Panzer geschmissen. Keine Kugel, die uns da berührte, Doch für uns war sie spannend, die Zeit, Es gab nichts, was man nicht mal riskierte, Legte Feilen als Dolche bereit. Die Klappmesser mit scharfem Schliff, Die federleichten, schwarz und grün, Die steckten später bis zum Griff In Lungen, schwarz vom Nikotin. Sie waren waghalsig und schlau, Rotznasen nützten aus die Not: Gefangne Deutsche auf dem Bau, Die tauschten Messer gegen Brot. Die Einsätze warn sehr gering Bei Pfänderspielen, die man trieb, Doch der Romantiker, der ging Von dunklen Höfen fort als Dieb. Eine Schieberin, ganz große Klasse, Angst vor Gott oder Nachbarn? Nichts da! ’ne Million hatte sie in der Kasse, Pereswetowa, die Marussja. Ständig Hunger, so ging es dort allen, Sie trank heimlich und still in der Not, Ist dann, plumps, vor der Tür umgefallen, Bös gestorben, war kein schöner Tod. Die Sucht nach Reichtum ist beinah Noch stärker als nach Heroin. Marussja Pereswetowa, Die konnte sich ihr nicht entziehn. Es lief dann alles ganz normal, Man war erstaunt von solcher Pracht Und sauer: So viel Kapital! - Besonders der vom Metroschacht. Er riß dann unser Haus auch ab Und sagt’ zu uns: »Rotznasen ihr, Was krieg denn ich vom Kriege ab?« Und hat geflucht, der Offizier. Es gab Zeiten, da gab es die Keller, Dann die Zeiten, da senkte man Preise. Das Kanalwasser floß immer schneller, Stoppte dort, wo es sollte, die Reise. Diese Kinder von alten Majoren Holte man nach Sibirien ab, Und aus jenen, den Knast-Korridoren, Ging es schwerer hinauf als hinab.
© Reinhold Andert. Übersetzung, 1989